Lohnfortzahlung während Quarantäne: Erhält Arbeitgeber Erstattung?

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Kategorie: Infektionsschutzrecht
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Der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG

Wie ist das rechtliche Verhältnis zwischen der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und der staatlichen Entschädigungspflicht im Falle behördlicher Quarantäneordnungen? Im fall behördlicher Quarantäne-Anordnungen gegenüber Mitarbeitern hat der Arbeitgeber einen Erstattungsanspruch gegen den Staat für den erlittenen Lohnausfall während der Quarantäne gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG.

Noch nie wurden arbeitsrechtliche Fragen so heiß diskutiert wie in Zeiten der Corona-Krise. So werdenRechtsprinzipien des Arbeitsrechts wie Fürsorgepflicht und Leistungshindernisse sowie das gegenseitigeRücksichtnahmegebot an vielen Arbeitsstellen virulent und sind Gegenstand arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen bzw. beschäftigen die Arbeitsgerichte. Doch was hat das mit dem staatlichen Entschädigungsrecht, insbesondere mit dem Infektionsschutzgesetz zu tun?

Im Zusammenhang mit behördlichen Quarantäne-Anordnungen ist es zunächst von entscheidender Bedeutung, zu welcher Personengruppe im Sinne des IfSG der Betroffene gehört.

Nach den Begriffsbestimmungen des § 2 IfSG sind vier Personengruppen vom Anwendungsbereich des Gesetzesumfasst: Menschen, die

  • an einer übertragbaren Krankheit erkrankt sind (übertragbare Krankheit) gemäß 2 Ziff. 4 IfSG infiziert sind und Symptome aufweisen (Krankheitsverdächtige) gemäß § 2 Ziff. 5 IfSG,
  • infiziert sind und keine Symptome aufweisen, aber Krankheitserreger übertragen (Ausscheider) gemäß 2 Ziff. 6 IfSG,
  • infiziert sind, keine Symptome aufweisen und keine Krankheisterreger übertragen (Ansteckungsverdächtiger) gem. § 2 Ziff. 7 IfSG.

Nach § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG erhält ein Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder in sonstiger Form Träger von Krankheitserregern im Falle einer behördlichen Quarantäneanordnung auf Grundlage der §§ 28 Abs.1, 30 Abs. 1 S. 2 IfSG („Absonderung“) eine staatliche Entschädigung für den während des Quarantänezeitraums erlittenen Verdienstausfall, sofern dies Absonderung gemäß § 56 As. 1 S. 3 IfSG unvermeidbar war.

Ein „Verdienstausfall“ im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor, wenn dem betroffenen, abgesonderten Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum ein gesetzlicher oder vertraglicher Lohnfortzahlungsanspruch gegen seinen Arbeitgeberzusteht. Das Nichtbestehen von Lohnfortzahlungsansprüchen ist somit negative Tatbestandsvoraussetzung des § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG.

Lohnfortzahlungsanspruch des kranken Arbeitnehmers gemäß § 3 Abs. 1 EFZG

Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit hat der Arbeitnehmer für die ersten 6 Wochen gemäß § 3 Abs. 1 EFZG (Entgeltfortzahlungsgesetz) einen Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen seinen Arbeitgeber. Arbeitsunfähig ist nach §2 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits- Richtlinie des G-BA ein Arbeitnehmer, der eine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeitausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit verursacht, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder dieGesundung negative Folgen erwachsen, die eine Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen. Damit ist festzustellen, dass Krankheitsverdächtigen, Ausscheidern und Ansteckungsverdächtigen im Sinne des IfSGgemäß § 3 Abs. 1 EFZG kein Lohnfortzahlungsanspruch zusteht.

Krankheitsverdächtigen steht ein Lohnfortzahlungsanspruch solange nicht zu, solange keine Gefahr der Verschlimmerung zu befürchten ist. Hier dürften die Übergänge indes fließend sein, d. h. ab dem Zeitpunkt, ab dem die Symptomatik in eine Erkrankung übergeht, wird eine Arbeitsunfähigkeit zu bejahen sein.

Festzuhalten bleibt damit, dass der „Kranke“ im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG vom Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 S. 2IfSG ausgeschlossen ist. Er hat somit ausschließlich einen Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen seinen Arbeitgeber.

Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 BGB

Voraussetzung für eine Anwendung des § 616 BGB ist zunächst, dass diese Bestimmung nicht abbedungen worden ist. Häufig wird § 616 BGB in Tarifverträgen ausdrücklich ausgeschlossen, sodass dann für eine darauf gestützte Lohnfortzahlung kein Raum ist.

Einem Arbeitnehmer, der Krankheitsverdächtiger, Ausscheider oder Ansteckungsverdächtiger ist (nachfolgend werden diese drei Gruppen zusammengefasst „COVID- Verdächtige“ genannt), steht ein gesetzlicher Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB gegen den Arbeitgeber zu, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnis- mäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Typische Beispiele sind der Tod eines nahen Angehörigen oder der Niederkunft der Ehefrau.

Erste Tatbestandsvoraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert wird. Die Arbeitsleistung ist in der Regel eine absolute Fixschuld, die, sofern der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit kommen darf bzw. kann, mit Zeitablauf tatsächlich unmöglich wird (§ 275 Abs. 1 BGB). Im Falle einer durch das zuständige Gesundheitsamt ver- hängten Quarantäne auf Grundlage des § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG liegt damit ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit vor, denn dem Arbeitnehmer ist es behördlich untersagt, seine Häuslichkeit zu verlassen. SofernHeimarbeit möglich ist, könnte an der rechtlichen Unmöglichkeit zwar gezweifelt werden. Auf die Zumutbarkeit von Home- Office-Tätigkeiten wird jedoch in diesem Beitrag nicht weiter eingegangen, weil dies für Arbeitnehmer, die heilberuflichen Tätigkeiten in der direkten Patienten- versorgung nachgehen, regelmäßig nicht in Betracht kommt.

 Angesichts der rechtlichen Unmöglichkeit der Arbeitsleistung muss der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, der in den Fällen von § BGB § 275 BGB aus § 326 Absatz I BGB resultiert, aus Billigkeitserwägungen durchbrochen wer- den. Hierfür sieht der Gesetzgeber die eng auszulegende Ausnahmevorschrift des § 616 BGB vor, welchein Fällen eines subjektiven Leistungshindernisses von nicht erheblicher Dauer eine Lohnfortzahlung vorsieht (typische Anwendungsfälle: Hochzeit, Niederkunft der Ehefrau, Tod naher Angehöriger).

Die Frage, ob der Arbeitgeber oder aber der Staat zur Zahlung des Verdienstausfalls für die Zeit derbehördlichen Quarantäneanordnung verpflichtet ist, erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit denAnspruchsnormen aus dem Arbeitsrecht und aus dem Infektionsschutzrecht unter Berücksichtigung der jeweiligen gesetzgeberischen Zielsetzungen.

Problematisch ist, ob der Adressat einer Quarantäne- Anordnung, der abgesonderte „COVID-Verdächtige, durch ein persönliches Leistungshindernis an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert ist. Diese Frage wurde bislang in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. In seiner Leitentscheidung im Jahr 1978 hat der BGH die Salmonelleninfektion zweier Mitarbeiter als subjektives Leistungshindernis qualifiziert und in Bezug auf das seuchenpolizeiliche Tätigkeits- verbot, dem die beiden Mitarbeiter unterlagen, zu Lasten des Arbeitgebers einen Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 BGB bejaht.1

Grundlage für die Anordnung von Quarantäne ist stets ein personenbezogener Gefahrenverdacht, denn der betroffene Krankheitsverdächtige, Ausscheider und Ansteckungsverdächtige ist als „Störer“ anzusehen. Unter Verweis auf die Anknüpfung an den körperlichen Zustand des COVID-Verdächtigen, auf den sich die behördliche Quarantänemaßnahme stützt, bejaht ein Teil der Literatur das subjektive Leistungshindernis und verwest dabei vor allem auch auf die Salmonellen-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1978. Begründet wird diese Auffassung im Wesentlichen mit der erforderlichen Rechtssicherheit, die man bei Abkehr von einem subjektiven Leistungshindernis verlieren würde.2 Zudem genüge es, wenn das Leistungshindernis aus denpersönlichen Lebensumständen des Arbeitnehmers stamme und sich nicht auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern beziehe, denn das Anknüpfen an einen personenbezogenen Gefahrenverdacht sei stets ein subjektives Leistungshindernis.3 Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei der Corona- Pandemie um einweltweites Ereignis handelt, ist Grundlage einer Absonderung stets ein personenbezogener Gefahrenverdacht.4

 Andere Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur kritisieren jedoch die Übertragbarkeit der BGH-Leitentscheidung im Salmonellenfall und sprechen sich für die Annahme eines objektiven Leistungshindernisses aus.5 Dabei wird argumentiert, dass es sich bei dem der damaligen BGH-Entscheidung zugrundliegenden Fall um ein auf den Einzelnen beschränktes Hindernis handele, während in Zeiten der aktuellen Corona-Pandemie die Wahrscheinlichkeit, als „COVID-Verdächtiger“ eine Quarantäne-Anordnung zu erhalten extrem hoch sei und jeden Bürger treffen könne. Demzufolge dürfe den Arbeitgeberkeine Lohnfortzahlungspflicht gemäß § 616 BGB treffen, sondern vielmehr sei der Staat verpflichtet, den Verdienstausfall gemäß § 56 IfSG zu entschädigen.

Die erstgenannte Rechtsauffassung ist vorzugswürdig, da sie sich konsequent auf die Prinzipien des Gefahren- abwehrrechts stützt. Die letztgenannte Ansicht überzeugt vor allem vor dem Hintergrund nicht, dass siemaßgeblich von der Ergebnisorientierung her den Blick in den Fokus rückt, in wessen finanzielle Risikosphäredie in weltweiten Pandemie-Zeiten millionenfach ausgesprochenen Quarantäne-Anordnungen fallen und damit ein politisch erwünschtes Ergebnis konstruiert, wonach das Lohnfort- zahlungs-Risiko jedenfalls nicht den Arbeitgeber auferlegt werden dürfe. Wenngleich zu konstatieren ist, dass aufgrund der üblichen tarifvertraglichen Abbedingung des § 616 BGB lediglich größere Betriebe die Plicht einer Lohnfortzahlung nicht zu tragen haben, sondern hier der Staat für die Entschädigungszahlungen nach § 56 IfSG verantwortlich ist, kann die „Gerechtigkeitsdebatte“ im Hinblick auf eine Benachteiligung kleinerer Betriebe in rechtssystematischer Hinsicht nicht durch eine Negierung des infektionsschutzrechtlichen Störerhaftung aufgefangen werden.

Aus einem persönlichen Leistungshindernis wird auch nicht deshalb ein objektives Leistungshindernis, weil es eine Vielzahl von Personen betrifft. Auch verbietet sich ein Vergleich mit objektiven Leistungshindernissen wie zu Naturkatastrophen oder Verkehrsstörungen. Denn für die Anwendung der Norm des § 616 BGB im Zusammenhang mit Quarantäne-Anordnungen kommt es eben gerade nicht darauf an, ob ein Arbeitgeber das „Betriebsrisiko“ zu tragen hat. Die Problematik des Betriebsrisikos ist abschließend in § 615 BGB geregelt, der hier nicht zur Anwendung kommt. Denn das in den menschlichen Organismus eindringende Corona-Virus ist allein schon angesichts der Unsichtbarkeit des Virus in den Aerosolen nicht vergleichbar mit einer durch Vulkanausbruch verursachten Aschewolke.

Bei einer Betrachtungsweise, die sauber und stringent die Grundsätze der Gefahrenabwehr anwendet, verbietet sich folglich der argumentative „Klimmzug“ eines objektiven Leistungshindernisses. Insofern ist auch die von Herrn Prof. Drosten gewählte Metapher der „Naturkatastrophe in Zeitlupe“6 nicht überzeugend, wenngleich sie in den wirtschaftlichen Auswirkungen insgesamt vergleichbar scheint.

Für einen Anspruch nach § 616 BGB muss das personenbezogene Leistungshindernis allein ursächlich für die Nicht-Erbringung der Arbeitsleistung sein (sogenannte „Monokausalität).7 Das bedeutet, dass der Lohn-anspruch ausschließlich deshalb entfällt, weil der Arbeitnehmer außerstande bzw. es ihm nicht zuzumuten ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen, wie etwa bei der Niederkunft der Ehefrau, seiner Hochzeit oder bei dem Tod naherAngehörigen. Dabei ist stets zu beachten, dass § 616 BGB als Billigkeitsnorm eng auszulegen ist. Fraglich ist mit Blick auf die für § 616 BGB erforderliche Monokausalität, ob COVID-Verdächtige nicht physisch und seelisch in der Lage wären, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Solange bei einem Krankheitsverdächtigen keine ihn beeinträchtigende und zum „Kranken“ einzustufende Symptomatik vorliegt und Ansteckungsverdächtige sowie Ausscheider keinerlei Symptome haben, können sie ihre Arbeitsleistung aufgrund ihrer völlig unbeeinträchtigten körperlichen Verfassung erbringen. Ein COVID-Verdächtiger hat also in der Regel weder ein persönliches noch ein objektives Leistungshindernis. Er kann seine Leistung subjektiv erbringen, ihm ist es aber aufgrund des behördlichen Verbots untersagt. Grund für die Nichtleistung ist somit ausschließlich die rechtlicheUnmöglichkeit seiner Leistungen gemäß § 275 Abs. 1 BGB, die den Verlust auf Vergütung gemäß § 326 BGB auslöst. Damit ist bei „COVID-Verdächtigen“ alle das behördliche Verbot, die Häuslichkeit zu verlassen, kausal für die Verdienstausfall, weil die Arbeitsleistung mit dem Verbot nun rechtlich unmöglich geworden ist. Dass das Verbot personenbezogen ist, ändern daran nichts. Anknüpfungspunkt für § 616 BGB ist somit das Verbot, nicht der Gefahrenverdacht als materiell-rechtliche Grundlage für das Verbot.

Handelt es sich bei den COVID-Verdächtigen – wie von Teilen der Literatur angenommen – um ein objektives Leistungshindernis im Sinne einer Naturkatastrophe oder einer Verkehrsstörung (was hier verneint wird), ist § 616 BGB nicht einschlägig, so dass der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG eröffnet ist.

Bejaht man hingegen – wie hier – ein subjektives Leistungshindernis in konsequenter Anwendung der Grundsätzedes Gefahrenabwehrrechts, so scheitert die Anwendung des § 616 BGB an der nicht gegebenen Monokausalität.Denn nicht das Leistungshindernis bzw. das Leistungsverweigerungsrecht ist kausal für den Verdienstausfall, sondern ausschließlich die behördliche Quarantänemaßnahme ist ursächlich. Damit ist der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 S 2 IfSG eröffnet.

Beide Literaturströmungen gelangen mithin zum selben Zwischenergebnis, dass § 56 Abs. 1 S 2 IfSG die eng auszulegende Bestimmung des § 616 BGB verdrängt. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Aufopferungsgedanken des Staathaftungsrechts, welches in § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG hinsichtlich derQuarantänemaßnahmen für COVID-Verdächtige Niederschlag gefunden hat. Denn ein COVID-Verdächtiger (Krankheits- verdächtige, Ausscheider und Ansteckungsverdächtige) ist zweifellos als personenbezogener „Störer“ zu qualifizieren, und zwar entweder als Nichtstörer, als Anscheins- oder als Verdachtsstörer. DiesenAufopferungsgedanken konkretisiert § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG, in dem er COVID- Verdächtige implizit als Anscheinsstöreroder Verdachtsstörer qualifiziert. Konsequenterweise werden Erkrankte vom Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG ausgeschlossen, denn sie sind im Gefahrenabwehrrecht als Zustandsstörer zu betrachten und haben daher keinen Zugang zu öffentlich-rechtlichen Entschädigungen.

Der Arbeitgeber als Zahlstellefür den Arbeitnehmer gemäß § 56 Abs. V S. 2 IfSG

Die gemäß § 56 Abs. 1 IfSG zu leistende öffentlich- rechtliche Entschädigung des betroffenen Arbeitnehmers in Höhe seines Verdienstausfalls ist vom Arbeitgeber bei der zuständigen Behörde zu beantragen. Er zahlt die Entschädigungan den Arbeitnehmer aus, obwohl es sich um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers als „Störer“ handelt. Der Arbeitgeber agiert quasi als Zahlstelle für die zuständige Behörde. Nachdem er in Vorleistunggegangen ist, kann er seinerseits die Erstattung gegenüber dem zuständigen Gesundheitsamt verlangen

Fazit: § 56 IfSG als „Billigkeitsregelung“

In der amtlichen Begründung11 zu § 49 BSeuchG – der Vorgänger-Regelung zu § 56 IfSG12 – stellt der Gesetzgeber klar, dass es sich bei der Bestimmung um eine Billigkeitsregelung handelt, die nicht auf einen vollen Schadensausgleich abzielt, sondern eine gewisse Sicherung der von den behördlichen Maßnahmen Betroffenen vormaterieller Not herstellen soll. Da diese Personen – als Störer im polizeirechtlichen Sinne – vom Schicksal in ähnlicherWeise betroffen seien wie Kranke, sollen ihnen Leistungen gewährt werden, wie sie sie als Versicherte in dergesetzlichen Krankenversicherung im Krankheitsfalle erhalten würden. Als Billigkeitsregelung schafft § 56 IfSG, orientiert an dem allgemeinen Aufopferungsgedanken, einen Ausgleichsanspruch für hoheitliche Eingriffe zugunsten des Allgemeinwohls in nicht vermögenswerte Rechte wieLeben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit im Sinne körperlicher Bewegungsfreiheit13, womit dem betroffenen Bürger ein „Sonderopfer“ bzw. ein Vermögensschaden entsteht. Wenngleich § 56 IfSG subsidiär anwendbar ist, sollten „Dunkelnormen“ des Arbeitsrechts, die der Gesetzgeber bewusst eng verstanden wissenwollte, wie insbesondere § 616 BGB, nicht mit dem Ziel, einen Lohnfortzahlungsanspruch zu Lasten des Arbeitgeberszu konstruieren, überdehnt werden. Die Rahmenbedingungen in heutigen Pandemiezeiten, bei denen millionenfache behördliche Quarantäneanordnungen rein vorsorglich gegenüber Anscheins- oder Verdachtsstörern an der Tagesordnung sind, können mit der damaligen Motivation der Behörden in den 70er-Jahren, ein Tätigkeitsverbot für zwei nachweislich mit Salmonellen infizierte Arbeitnehmer auszusprechen, kaum noch verglichen werden. Zudem ist die vom BGH seinerzeit konstruierte Gleichstellung dieser salmonellen-infizierten Arbeitnehmer mit „Kranken“ mit der Folge der Anwendung des § 616 BGB allein schon deshalb nicht auf heutige Verhältnisse übertragbar, weil COVID-19 Infizierte sehr häufig asymptomatische Verläufe haben, dennoch aber ansteckend (Ausscheider) sein können. Die kaum noch zu begrenzende Infektiosität und Mortalität hinsichtlich der über die Welt hereinbrechenden verschiedenen Virus-Varianten lassen zur Eindämmung des Virus kaum noch eine Begrenzung auf bestimmte Personen zu, sodass die Gesundheitsämter gezwungen sind, zum Schutze des Allgemeinwohls, zunehmend rein vorsorgliche Quarantäne-Anordnungen gegenüber den „COVID-Verdächtigen“ auszusprechen.

Während der Gesetzgeber damals das Bundesseuchengesetz ausweislich der amtlichen Begründung zur Vorgängervorschrift § 48 BSeuchG ausdrücklich nicht auf Krankheitsverdächtige ausweiten wollte, ist dies mit der Neuordnung des Seuchengesetzes in der neuen Vorschrift des § 56 IfSG ausdrücklich geschehen. Nach heutigen infektionsschutzgesetzlichen Vorgaben ist damit ein Arbeitnehmer mit Symptomen wie trockenem Husten und Fieber ein Anscheinsstörer, der von dem zuständigen Gesundheitsamt zum Schutze der Allgemeinheit mittels Quarantäneanordnung abzusondern ist. Ein Rückgriff auf § 616 BGB für den vom betroffenen Arbeitnehmer erlittenen Verdienstausfall scheint angesichts des sehr begrenzten Anwendungsbereichs des § 616 BGB auf subjektive, den Verdienstausfall mono- kausal auslösende Leistungshindernisse eher fernliegend. Hochzeiten,Todesfälle naher Angehöriger oder auch die Geburt eines Kindes sind Ereignisse von sehr begrenzter Dauer, die hinsichtlich der Fortzahlung der Vergütung kraft arbeitgeberseitigem Fürsorgeprinzip durchaus der Risikosphäre dem Arbeitgeber zugeordnet werden könne, denn auch bei § 616 BGB handelt es sich um eine Billigkeitsvorschrift. Diese arbeitsrechtliche Billigkeitsnorm sollte aber nicht bemüht werden, wenn allein behördliche Verbote im Rahmen der infektionsschutz- rechtlichen Gefahrenabwehr monokausal für die von Arbeitnehmern erlittene Verdienstausfälle sind. Deren Kompensation kann systematisch nur mit Normen aus dem Bereich des öffentlich-rechtlichenEntschädigungsanspruchs erfolgen. Allgemeinwohlschützende Maßnahmen in Form grundrechtlicher Eingriffeerfordern ein „Sonderopfer“ von Anscheinsstörern und Verdachtsstörern (Krankheitsverdächtigen, Ausscheidern und Ansteckungsverdächtigen), für welches ausschließlich die geschützte Allgemeinheit in Form des Steuerzahlers verantwortlich sein kann, nicht jedoch der einzelne Arbeitgeber.

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